Das Fördergebiet „Fulda Nordend“ umfasst eine Fläche von ca. 150 ha und wird von einer vielschichtigen Mischung aus ehemals industriell geprägten Strukturen (entlang der Bahnlinie), teilweise sozialem Geschosswohnungsbau in Block- und Zeilenbauweise und den üblichen, aber in die Jahre gekommenen Einfamilienhausgebieten geprägt. Daneben gibt es für die Gesamtstadt bedeutende soziale Infrastrukturen wie die Hochschule. Ebenso beherbergt das neue Fördergebiet gesamtstädtisch relevante Potenziale wie die Ochsenwiese und das geplante Neubaugebiet am Waidesgrund, deren Entwicklung die städtebauliche und soziale Struktur des Quartiers nachhaltig beeinflussen wird.
Im Fuldaer Nordend existieren im Wesentlichen zwei Grünzüge. Im Osten erstreckt sich der Waidesgrund, der als ehemalige Kleingartenanlage und künftiges Wohngebiet mit ungestalteten Flächen und Wegebeziehungen wenig Aufenthaltsqualität bietet. Gleichzeitig wird die Grünfläche von zahlreichen Schulkindern durchquert, die vom nahegelegenen Bahnhof und Busbahnhof zum Schulviertel oberhalb der Waides laufen müssen. Im Osten erstreckt sich der Galgengraben über eine langgezogene Hohle, die zu 80% durch die Kleingartenanlage Birkenallee genutzt wird. Östlich und westlich wird der Galgengraben von der Bundesstraße und einer Hauptverkehrsader, der Leipziger Straße, umschlossen.
Fulda-Nordend – wie alles begann……
Das Fuldaer Nordend wurde, gemeinsam mit den heutigen Gebieten Ziehers-Nord und Ziehers-Süd, seit dem 17. Jahrhundert von der Domäne Ziehers genutzt. Ein großer Teil der Bevölkerung arbeitete hier in der Landwirtschaft.
Fulda selbst fungierte bis zum 19. Jahrhundert als „Etappenstadt“, war aufgrund seiner zentralen Lage an den alten Handelsstraßen oft Rast- und Proviantplatz für durchziehendes Militär.
Als im Jahr 1868, endlich nach 32 Jahren, von der ersten Petition bis zur Eröffnung, die Anbindung an die Bahnstrecke Frankfurt/M. – Fulda – Bebra gelang, begann auch in Fulda die Industrialisierung mit teilweise erheblichen Umbrüchen und wirtschaftlichem Aufstieg.
Mit dem Bau der Hindenburg- Kaserne (Artillerie) um 1900 entwickelte sich in deren unmittelbarer Nachbarschaft die erste Wohn- und Versorgungsinfrastruktur in Form von kleinen Handwerksbetrieben, Gewerbe und Dienstleistern im Bereich Leipziger Straße. Diese Strukturen (Doppelhäuser-Reihe) sind bis heute erkennbar.
Von der Stadtseite her erfolgte eine Ausweitung über die Bahnanlagen hinaus Richtung Nordend; mehrgeschossige Wohnhäuser und Fabrikanlagen entstanden.
Da sich die Einwohnerzahl der Stadt seit 1803 mehr als verdoppelt hatte, von 8332 auf ca. 17000 im Jahr 1900, bestand permanent Wohnraummangel. Bereits im Jahre 1893 wurde im Nordend von Mitarbeitern der Bahn eine Wohnungsgenossenschaft für bezahlbaren Wohnraum gegründet, heute Fuldaer Spar- und Bauverein e.G.
1923 fand im heutigen Hotel Lenz in der Leipziger Straße die Gründung des „Geselligkeitsverein Nordend“ durch die Bürger statt. Dieser Verein setzt sich bis heute noch für die Geselligkeit, insbesondere Fastnachtsveranstaltungen und Bürgerfeste im Nordend ein und prägt die kulturelle und nachbarschaftliche Struktur des Viertels.
Die Einwohnerzahl Fuldas (zu Beginn des 2. Weltkrieges ca. 33000 Einwohner) stieg nach 1945 erheblich in Folge des Flüchtlingszuzuges. Demgegenüber stand eine Zerstörung von über 1500 Häusern, etwa 30 % des Wohnraumes.
Zur Lösung des Wohnraumproblems durch umfassende Baumaßnahmen im Zuge des Wiederaufbaus und Neubaus, begleitet von Kapitalnot zur Baulandbeschaffung, wurden auch neue bauliche Ansätze, wie z.B. die Siedlungsbauweise mit Reihenhäusern und Hausgärten, welche durch Herrn Prof. Abel aus München konzipiert wurde, eingebracht, jedoch nicht immer konsequent umgesetzt.
Infrastrukturelle Ansätze bei Nahversorgung und verkehrsberuhigten Wohngebieten wurden dennoch verwirklicht.
Für die notwendige Selbstversorgung und vor allem auch für die Bewohner von Mietshäusern wurden Kleingartenvereine (Neue Heimat, Birkenallee und Waidesgrund) gegründet. Ein grünes Wohnviertel entstand im Nordend.
Die Arbeitnehmer fanden Beschäftigung bei den hier neu angesiedelten Familienunternehmen aus den Ostgebieten, wie z.B. der Fa. Juchheim -JUMO, Fa. Büchel, Fa. Wagner, Fa. Schmid; Arbeitnehmerinnen waren vor allem in der Wachsindustrie wie der Fa. Berta oder Fa. EIKA beschäftigt.
In den 50er und 60er Jahren nahm die Anzahl der Pendler aus dem Fuldaer Umland stetig zu, zeitweise bis zu 50 %. In Folge der hohen Pendlerzahl musste die Verkehrsinfrastruktur erweitert werden.
Dem ÖPNV kam eine große Bedeutung zu. Durch die ständige Zunahme des Individualverkehres sah man sich gezwungen, die Einfallstraßen auszubauen. Es gab außerdem Bedenken, dass im Zuge der Teilung Deutschlands die Region Fulda als Zonenrandgebiet vom wirtschaftlichen Aufschwung abgeschnitten werden könnte und so wurde 1961 ein erster Generalverkehrsplan entwickelt, der auf eine „autogerechte Stadt“ abzielte. Im Nordend wurde die Leipziger Straße von einer zweispurigen Allee in eine vierspurige hochfrequentierte Straße ausgebaut.
Dieser Ausbau zur Durchgangsstraße hatte nicht nur eine permanente Umweltbelastung durch Lärm und Feinstaub zur Folge, sondern auch, dass die Anzahl der kleineren Läden, Dienstleister und Gastronomie stark zurückging und die Wohnqualität sank. Auch rund um die Magdeburger Straße und die Berliner Straße zeigten sich Veränderungen.
Ein weiterer Wandel diesbezüglich vollzog sich mit dem Wachstum der Hochschule auf heute fast 10.000 Studierende. Studentenunterkünfte prägen zunehmend das Nordend rund um den Campus.
Aber: Mieten blieben erschwinglich. Die Bevölkerungsstruktur im Nordend wandelte und wandelt sich.
Alleinerziehende, Aussiedler und Bürger mit Migrationshintergrund fanden hier bezahlbaren Wohnraum. Diese besondere, zum Teil auch kurzlebige Vielfalt hat kaum noch gewachsene nachbarschaftliche Strukturen vorzuweisen. Langjähriges vertrautes Miteinander und soziale Interaktion gibt es fast nur noch in den Siedlungswohnungen und den wenigen Einfamilienhaus-Wohngebieten.
Für kulturelle Angebote und gemeinsame Aktivitäten, Vereinsarbeit, Veranstaltungen (Fastnacht usw.) und Familienfeiern fehlt dem Nordend ein Bürgerhaus oder Bürgerzentrum, nebst Jugend- und Seniorentreff.
Gabriele Melchiors-Leskopf
Reinhard Heidorn
Fulda, Mai 2021
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